"Uns als Bildstörung von der Mattscheibe zu predigen" ist eine Alternative zur Ablehnung des Wortes "Predigt" durch den Theologen Michael Herbst, wie Sie in einem Artikel aus der "Welt" dargestellt wird, den ich in den Erläuterungen zu Nr. 8 in etwas anderem Zusammenhang diskutiere.
Herbst will mit Hilfe eines neuen Institutes eine moderne und zeitgemäße Evangelisation voranbringen. In der Darstellung des geplanten Vorgehens heißt es in dem Artikel:
Geistliche, die wie Psychologen oder Sozialarbeiter agieren, sind Rattenfänger. Der Pfarrer braucht ein eigenes Thema, und das hat immer mit Liebe, Tod und Jenseits zu tun." In schweren Situationen sei die Verkündigung des Evangeliums große Hilfe.
Das will Herbst seinen Studenten, aber auch Pfarrern und hauptamtlichen Mitarbeitern von Kirchen, die in zwei Jahren je vier einwöchige Kurse am Institut absolvieren, nahe bringen. Zuerst gehe es um die Veränderung der klerikalen Sprache, ein Begriff wie "Predigt" sei ein "krankes Wort, es hat überall ausschließlich eine negative Konnotation". Auch die Erweckungslieder des 19. Jahrhunderts und die Botschaft, die ohne nähere Erklärung vom "Heiland" spricht und "Erlösung" verspricht, sei untauglich. "Wir müssen wie Luther dem Volk aufs Maul schauen, dann ergibt sich von selbst eine neue Sprachregelung", glaubt Herbst. "Was bewegt den Konfessionslosen? Welche Kontaktflächen hat Kirche mit ihm noch?" Wer auf diese Fragen Antworten suche, "kommuniziert automatisch verständlich". Das sei unerlässliche Voraussetzung für Mission. Die Erfolgsformel laute "spirituelles Gemeindemanagement", also "Managementmethoden, die Gemeinden vitalisieren".
Dieses ganze Gedicht entstand - wie Nr. 8 - in der Auseinandersetzung mit jenem Artikel. Ich kann mit der hier durchscheinenden Management-Orientierung nichts anfangen - will aber gleichzeitig "management-bedürftige" Fragen keineswegs leugnen.
Michael Herbst will - und ich bin mir dabei der Beschränktheit meines Verweises auf einen einzigen Zeitungsartikel bewußt! - den Begriff "Predigt" mit einem Federstrich abtun. Die Vermutung liegt nahe, daß er ihm zu schwerfällig-moralisch klingt, zu offenkundig autoritär und patricharchal-bevormundend.
Bei Nr. 8 versuche ich allerdings zu zeigen, daß die bei Herbst zu spürende Management-Orientierung letztendlich ebenso eine autoritäre Grundhaltung transportiert, nur versteckter, hinter den eloquent vorgetragenen Notwendigkeiten zur Änderung der Lage verborgen.
Mein Ansatz demgegenüber ist im vorliegenden Fall, die "Predigt" - hier zwar als "Verb", aber doch als der alte Begriff! - zu bewahren, sie aber in einen inhaltlich ungewohnten Zusammenhang zu stellen, um zu sehen, was dann passiert.
Wenn uns eine Bildstörung "predigt", bleibt etwas von der alten Konnotation der moralischen Ermahnung erhalten, doch sorgt die Verschiebung des Zuammenhangs gleichzeitig für eine ironische Brechung dieses "alten Anteils" im Begriff, worüber zu lächeln ein neues, bislang nicht vorhandenes Element in der Wirkung des Begriffs darstellt.
Aber ich wollte nicht bei einer wenngleich liebevollen "Dekonstruktion" der "alten Predigt" stehenbleiben. Der weitere Zusammenhang meines Textes ist kein komischer, trotz komischer Facetten.
Damit wird der "Predigt" eine Würde des Überkommenen belassen, und sie muß sich gleichzeitig in die vielgestaltige, infragestellende, irritierend sich selbst immer neu zusammensetzende Gegenwartswelt einfügen. Nichts davon ist in Michael Herbsts Management-Sprache vorfindbar. Sie atmet ausschließlich jene technokratischen Merkmale der Gegenwart, die zu ihr gehören wie die Sorge um knapper werdendes Geld und fehlende Zugehörigkeit real ist - die aber einseitig ihre eigene Beschränktheit zum Leitbild erhebt, anstatt in der Welt und mit der Welt vorsichtig und neugierig zu experimentieren.
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