Durch eine befreundete Theologin wurde ich auf Michael Herbst aufmerksam, Professor für Praktische Theologie an der Universität Greifswald und Vertreter eines modernen, missionarisch orientierten Gemeindeaufbaus.

Bei einer Internet-Recherche stieß ich auf einen Text über sein Gemeindeaufbau-Projekt in der Online-Ausgabe der Zeitung "Die Welt", der über diesen link aufrufbar ist.

Mein immer wieder aufkommendes Unbehagen an bestimmten Formen der "Erneuerung von Glaube und Kirche" wurde durch diesen Text aufs Neue angestoßen, und es entstanden die Grafik, von der aus Sie hierher gelangt sind, sowie die folgenden, das Bild erläuternden Gedanken.

Ich denke, es ist nicht unbedingt erforderlich, zuvor den Artikel aus der "Welt" gelesen zu haben, um das Nachfolgende einordnen zu können; gleichwohl ist der Zeitungs-Artikel der notwendige Gegenpol zu Grafik und eigenem Text. Ich würde, setzte ich das Eigene ganz und gar für sich alleine gültig, sonst der in meinen Gedanken stets mitlaufenden Überzeugung zuwiderhandeln, daß es zwar einen Gott, daß es einen, der uns erlöst hat, daß es einen Geist gibt - daß uns aber viele Wege aufgegeben sind, um zu erkennen, um getröstet zu werden und um im Zusammenspiel aus beidem Leben und Welt zu verwirklichen.



Der Ausgangspunkt war das Widerstreben gegen eine "Werbung für den Glauben", zudem eine ältere Abneigung gegen die Idee der "Mission". Vor mir steht stattdessen das "Beispiel" dessen, der glaubt, darin Kraft findet und dies zeigen und teilen kann. Aber das ist ein scheues und bescheidenes Geschehen, keins, das in die Welt hinausposaunt wird. Ich denke, der Blick sollte in der Krise der Kirche eher dorthin gehen, sollte sich nicht zuletzt dessen eingedenk werden, wieviel an Glauben noch vorhanden ist und was dieser tut, statt vorrangig die vermeintlichen Rückzugsorte ins Visier zu nehmen und die vermeintlichen Gegner vors Zielfernrohr zu rücken.

Dann stellen sich viele Fragen, nach dem Vorhandensein des göttlichen Funkens in meiner ostdeutschen Bekannten, beispielsweise, überzeugte Atheistin und gleichzeitig von einer tiefen, auch politisch fundierten Menschlichkeit und Gelassenheit dem Leben gegenüber durchdrungen, die ich jeder Gläubigkeit gleichzusetzen bereit bin.

Es stellen sich auch Fragen nach neuen Bildern, neuen Symbolen, die jenseits, weit jenseits von "Glaubens-Marketing" und "Umkehr-Bekehrung" von einem machtvollen und kraftvollen Erlöser erzählen, der gleichzeitig nicht als alte patriarchale Herrschergestalt vorzüglich der Ergebenheit und des unbedingten Glaubens an seine Fähigkeiten bedarf.


So entstand als Reaktion auf den Text über Michael Herbst, bei dem das Marketing im Vordergrund steht, ein "Jesus", der aller aufgemotzten Accessoires bar sein sollte - und dennoch zu fesseln vermöchte. Auf den sich zu konzentrieren nahegelegt, doch nicht erzwungen wird. Der Eindeutigkeit enthält, aber zuläßt, daß bestimmte Mehrdeutigkeit möglich ist.

Die "nackteste" Version der Grafik findet sich hier.

Zum Beispiel habe ich das Modell der Darstellung eines Jesus am Kreuz gewählt, also des für uns leidenden Christus. Gleichzeitig aber ist das angedeutete Kreuz nicht nur jenes von Golgatha, es ist auch einfach ein Fadenkreuz, eine Orientierung, ein Mittelpunkt. Doch Kreuz und Kopf wirken durch ihre Umgebung, den schwarzen Hintergrund. Er ist ebenso dominant. Es gibt nicht nur Gott. Es gibt auch das Rätsel der Welt, in der wir Gott begegnen; auf diese Gleichzeitigkeit kommt es mir an. (Ergänzende Gedanken sind hier ausgelagert.)

Ich suchte nach einer Ästhetik, die modern ist, also nicht altehrwürdigen Vorbildern vom Schlage eines gütig lächelnden Jesus im weißen Gewand und mit glattem White Anglo Saxon Protestant-Gesicht nachhängt. Gleichzeitig sollte sie moderne Werbeästhetik nicht verleugnen, ihr aber auch nicht wirklich folgen. Dies deshalb, weil jede derartige - bildliche - Reaktion auf den "beworbenen Jesus" im Medium des Internets kaum anders kann, als eine gewisse Kühle und Eleganz auszustrahlen, will sie nicht rasch Gefahr laufen, kitschig zu werden. Und es geht andererseits nicht um eine Ablehnung des "teuflischen Verführers Werbung" oder dergleichen, sondern um die Klärung von deren unausgesprochenen Merkmalen.

In der Farbwahl habe ich mich allein an einem Satz orientiert, der bereits den "Kapellenentwurf" prägt und der mir Leitstern gegenüber jeglicher marktorientierter Jesusbekümmerung ist. Es ist dieser Satz von Jochen Klepper aus seinem Lied "Die Nacht ist vorgedrungen" (Es hat die Nummer 16 im (neuen) Evangelischen Gesangbuch):

"Gott will im Dunkeln wohnen
und hat es doch erhellt."

Ich glaube, daß sich jegliche aktuelle Glaubens"werbung" in jenem werbungsmäßigen Sinn von Werbung in einem von vornherein hell, wenn nicht blendend ausgeleuchteten Raum bewegt und letztendlich, auch wenn dies nicht immer ausdrücklich gesagt wird, den strahlenden Himmelskönig auf seinem Thron mitspricht; ja, diesen jenseits des Lichtes gewissermaßen als unerkennbare und vor allem: autoritäre Macht transportiert.

Manche Richtungen christlicher Werbungstheologie sind hier offener und klarer, evangelikale Gruppen beispielsweise, die von Jesus nur als "dem König und Herrn" sprechen und gerne, allzu gerne nicht anders als lobpreisend singen. In der Sprache der Werbung sind das jene, die bereits den Hauptpreis gewonnen haben. Eigentlich könnten sie schweigen und sich in Frieden freuen, aber sie behelligen ihre Umwelt nur zu gerne mit dem religiösen Sechser, der ihnen zuteil wurde.

Andere, zu denen ich auch Michael Herbst zähle, sind hier verklausulierter. Wenn Gemeinden ertüchtigt werden sollen, "sich auf dem religiösen Markt missionarisch aufzustellen" (Zitat Michael Herbst aus dem erwähnten Zeitungs-Text), dann ist aber Agitation für unumstößliche Wahrheiten, bei denen sich einzuordnen eigentlich Pflicht sein sollte, wenn man die Pflicht nur einfordern dürfte, auf den Punkt gebracht.

Hier ist nicht mehr die Behutsamkeit eines Guten Hirten gefragt, geht es nicht mehr um die oft zweifelnde, aber durchaus auch leidenschaftliche Suche nach dem Glauben, nach Gott, nach dem auferstandenen Bruder, der mit uns wandelt, zu der die Moderne doch eigentlich gefunden haben könnte.

Allenfalls sind noch die Hütehunde des Hirten zu spüren, die um die Herde ringen, sie zusammenzutreiben suchen, engagiert, lautstark, doch der Hirte ist ihnen verlorengegangen, denn er bedürfte ihrer nur selten, nur im Einzelfall; nicht als Programm; oder sogar überhaupt nicht: denn er ist der "Gute" Hirte, er ist der, mit dem man geht, weil das frische Wasser lockt und er Wege zur Quelle kennt, nicht, weil man dorthin getrieben wird.

Michael Herbst sagt: "Geht es um Menschenwürde, hat die Kirche Antworten. Sie müssen nur klar formuliert werden, nicht verwässert, wie es leider üblich geworden ist, und auch nicht unverbindlich wie in der Politik." Hier verstellt, meiner Meinung nach, ein fundamentaler Irrtum den Blick: Es gibt nicht nur verwässerte und unverbindliche Antworten in der Welt, sondern auch eine Vielzahl klarer und eindeutiger! Wir haben unendlich viele Antworten. Das ist die Crux, aber auch einfach ein zentrales - und wertvolles - Kennzeichen der Moderne: denn wir haben die machtbesessenen Eindeutigkeiten der Vergangenheit hinter uns gelassen.

Dann ist aber der weitere Weg vorerst - und für lange Zeit! - einer des Fragens; wie in der Unübersichtlichkeit, die sich die bunte Vielfalt nicht abstreifen kann wie eine lästige Überjacke, Wegstück um Wegstück voran, nie ein und für allemal, die vielen Wege in die Zukunft, die wir zu gehen begonnen haben, verlaufen und gangbar gemacht werden könnten. Dieses Wegnetz existiert noch nicht, und kein Licht der Welt kann es sichtbar machen, und wessen wir dabei bedürfen ist Begleitung, nicht Leitung.

Daher sehe ich die Wahrheit und Kraft des Glaubens, von der Jochen Klepper spricht, nicht im Licht des Tages, sondern im Licht aus der Nacht.

Dort spielt bei aller Gewißheit des Weges, die ich finden mag, seine Fraglichkeit auch immer mit. Kein Weg im Dunkeln ist einer, der uns Lichtwesen selbstverständlich werden könnte; froh kann er dennoch sein, wie jeder wissen wird, der eine nächtliche Straße mutig und achtsam zugleich gewandert ist.

Dieses Licht aus der Dunkelheit, das nicht blendet, das nicht alles zeigt, sondern nur, sogar nur eine gewisse, immer wieder neu zu bekräftigende Orientierung gibt, scheint mir der wahrhafte Gegenpol zu den oberflächlichen, lauthalsen und marktschreierischen, den glatter Effektivität verpflichteten und jedem eigenständigen Denken letztendlich abholden Aspekten der Moderne zu sein.

Hier wird niemand "ertüchtigt", sich "aufzustellen" und Position zu beziehen, hier wird kein Markt mit guten Argumenten und noch besserem Marketing erobert. Das Licht im Dunkel ermutigt vielmehr zu wandern, ob aller Ungewißheit des Weges weiterzugehen, auf den geregelten Lobpreis um der spontanen Umarmung zu verzichten, dafür Wanderlieder anzustimmen, deren wir in unserer Angst auf den unsicheren Straßen bedürfen (und "Die Nacht ist vorgedrungen" ist ein solches!) - und plötzlich neben uns den einen zu bemerken, der mit uns geht und uns darin beisteht, die Zumutungen der Moderne und Postmoderne - möglicherweise sogar mit einem Lächeln auf den Lippen - zu erkunden und hartnäckig zu bestehen.

Auf diesen Jesus will ich schauen, auch wenn er sich mir niemals mit vielen guten Angeboten offenbart.

 

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